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Tuesday, March 5, 2013

ISPSW - Dr. Peter Roell - “Unternehmensrisiko Korruption 2009” - Impulsreferat zum Thema Korruption und Korruptionsbekämpfung in der Volksrepublik China


Institut für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW)
Korruption und Korruptionsbekämpfung in der VR China
von Dr. Peter Roell

Vorbemerkung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute vor Ihnen anlässlich der 4. Handelsblatt Jahrestagung “Unternehmensrisiko Korruption 2009” ein Impulsreferat mit dem Thema Korruption und Korruptionsbekämpfung in der VR China halten zu dürfen.

Als Sinologe ist es mir ein besonderes Anliegen, Sie mit kulturellen Aspekten 1) vertraut zu machen, die in hohem Maße die Korruption im Reich der Mitte begünstigen, andererseits bei Betrachtungen des Themas weitgehend keine Erörterung finden.

Ich möchte Ihnen ferner einige Kernerkenntnisse einer Studie des Chinaexperten Minxin Pei, Direktor des China Programms bei der Carnegie Stiftung in Washington, zur Kenntnis bringen. Darüber hinaus werde ich auf das Ausmaß der Korruption in China sowie auf Bekämpfungsmaßnahmen seitens der chinesischen Regierung zu sprechen kommen.

Mit einem Fazit und 10 Handlungsempfehlungen möchte ich mein Impulsreferat abschließen und stehe Ihnen dann gerne noch, gemeinsam mit Herrn von Hauenschild und Herrn Dr. Pohlmann, für Fragen zur Verfügung.

Korruption und Guanxi
Wer durch China reist, wird oft das Wort Guanxi hören. Dies ist ein geradezu magisches Wort, denn es öffnet Türen, von denen man glaubt, sie seien verschlossen, Mit Guanxi, was Beziehung, Netzwerk bedeutet, bekommt man zum Beispiel in einem völlig überbuchten Flugzeug dennoch einen Sitzplatz oder man erhält Zugänge auf hoher wirtschaftlicher oder politischer Ebene. Natürlich trifft man auch in Deutschland auf private oder geschäftliche Netzwerke, aber in der chinesischen Kultur geht das Verständnis von bilateraler Interdependenz viel tiefer.

Chinesen definieren sich selbst über ihre Beziehungen in der Gesellschaft, ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Abhängig von der Intensität dieser Beziehungen fühlen sie sich verpflichtet, sich gegenseitig zu helfen, mal stärker, mal schwächer ausgeprägt.

In seinem Buch: China.de - Erfolgreich verhandeln mit chinesischen Geschäftspartnern 2) stellt mein ehemaliger Studienkollege, Dr. Manuel Vermeer, dieses Beziehungsgeflecht in konzentrischen Kreisen wie folgt dar:
a) Der innere Zirkel zeigt die überwältigende Bedeutung der Familie. Bereits Konfuzius bezeichnete die Familie im 5 Jhdt. v. Chr. als Kern des Staates. Dies bedeutet für Chinesen – quasi als moralische Verpflichtung – sich gegenseitig zu helfen, sei es im privaten oder geschäftlichen Umfeld.

b) Der nächste Zirkel beschreibt die Beziehungen früherer Schulkameraden, Studenten oder Beziehungen, die während des Militärdienstes entstanden sind. Wenn man sich einmal gut kannte, bleibt diese Beziehung erhalten, selbst wenn man sich über Jahre nicht sehen konnte. Guanxi kann zu jeder Zeit erneut aktiviert werden.

c) Der Kreis C symbolisiert Phasen, in denen Menschen – auch unter schwierigen Bedingungen, wie zum Beispiel bei Naturkatastrophen in China – zusammen trafen und sich unterstützten. Dieser Personenkreis kann auch später stets aktiviert und um Hilfe gebeten werden.Wichtig – und hier können wir Deutsche sehr viel von Chinesen lernen – sind die Beziehungen zwischen Schülern oder Studenten zu ihren Lehrern. Der traditionelle Respekt im Hinblick auf Wissen, in Kombination mit dem Respekt für ältere Menschen, bewirkt eine intensive Schüler-Lehrer Beziehung, die in konkreten Situationen stets genutzt werden kann.

d) Schließlich sind die Beziehungen zwischen Freunden etwas ganz Besonderes. Charakteristisch für das chinesische Guanxi ist, dass diese Verpflichtungen zur gegenseitigen Hilfe ein ganzes Leben lang bestehen bleiben. Dieses System kann enorme Zugänge, wirtschaftliche und persönliche Vorteile verschaffen. Die traditionellen Verhaltensmuster bieten allerdings auch der Korruption in der VR China einen geradezu idealen Nährboden.

Kernerkenntnisse der Carnegie Studie
Die Korruption in China konzentriert sich auf Sektoren, in denen der Staat erheblich involviert ist, wie Infrastrukturprojekte, Immobilien, Finanzsektor, Beschaffungswesen.

Seit den 80er Jahren ist im Rahmen von Korruptionsskandalen ein enormer Anstieg von Gelddiebstahl zu beobachten. Die direkten Kosten der Korruption werden mit jährlich 86 Milliarden Dollar beziffert.

Etwa 10 Prozent aller Regierungsausgaben werden bei Verträgen und Transaktionen vermutlich für Schmier- und Bestechungsgelder aufgewandt.

Obwohl die chinesische Regierung mehr als 1.200 Gesetze, Vorschriften und Anweisungen zur Korruptionsbekämpfung erlassen hat, ist die Implementierung schleppend und ineffizient.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein korrupter Beamter ins Gefängnis kommt, ist geringer als drei Prozent. Dies macht Korruption bei geringem Risiko sehr verlockend.

Das Fehlen eines konkurrierenden politischen Prozesses und einer freien Presse machen die hoch riskanten Sektoren empfänglich für Betrug, Diebstahl, Schmiergelder und Bestechung.

Die indirekten Kosten der Korruption wie Effizienzverluste, Verschwendung, Schädigung der Umwelt, der Gesundheit, der Erziehung, der Glaubwürdigkeit und der Moral sind unkalkulierbar.

Die Korruption unterminiert die soziale Stabilität, trägt zum Niedergang der chinesischen Umwelt, sozialer Leistungen, steigender Kosten im Gesundheitswesen, im Haus- und Wohnungsbau sowie im Bereich der Erziehung bei.

Die Korruption schädigt westliche Wirtschaftsinteressen, insbesondere die von Auslandsinvestoren, die mit Wettbewerbern konkurrieren müssen, die rechtswidrige Praktiken anwenden, um Aufträge zu erhalten.

Die US-Regierung sollte Mittel zur Verfügung stellen, um Korruptionsfälle in der VR China verfolgen zu können.

Die Kooperation mit China in Rechtsfragen sollte verstärkt (illegale Migration, Geldwäsche) und auf Umsetzung chinesischer Gesetze beharrt werden, ehe Washington gegen flüchtige chinesische Rechtsbrecher in den Vereinigten Staaten vorgeht und gestohlene Vermögenswerte sicherstellt.

Die epidemische Korruption unter chinesischen Beamten einzudämmen, stellt eine der größten Bedrohungen für Chinas wirtschaftliche Zukunft und die politische Stabilität dar.

Stimmen aus China
Wie sehen die chinesische Regierung, die Bevölkerung und die Medien das Korruptionsproblem in ihrem Land?
Auf einer Pressekonferenz im März 2007 äußerte sich Ministerpräsident Wen Jiabao wie folgt: Wir müssen zugeben, dass das Phänomen Korruption im Rahmen der Wirtschaftsentwicklung in zunehmendem Maße bedrohliche Formen angenommen hat und sogar viele hochrangige Führungskräfte involviert sind. Korrupte Elemente müssen, unabhängig von ihrem Rang, gemäß unseren Gesetzen schwer bestraft werden.

Und in einer Ansprache vor hochrangigen Kadern stellte Staatspräsident Hu Jintao am 15.
Januar 2008 fest:
Die ungezügelte Korruption kann zur Zerstörung der Kommunistischen Partei führen. 4) Die chinesische Bevölkerung verfolgt den Kampf gegen die Korruption mit großer Aufmerksamkeit und übt hinter vorgehaltener Hand drastische Kritik am Verhalten der Kader. Um herauszufinden, ob ein Kader korrekt sei, müsse man sich nur die Tätigkeiten seiner Frau und seiner Kinder ansehen. Um herauszufinden, ob ein Kader korrupt sei, müsse man sich nur Wohngegend und Wohnfläche ansehen. Um herauszufinden, ob ein Kader von übler Natur sei, müsse man nur sehen, ob er sich am Wochenende und in den Ferien als Gast in exklusiven Clubs und in einschlägigen Etablissements aufhalte.

Die weitgehend staatlich gelenkten Medien können ihre Kontrollfunktion allerdings nur bedingt wahrnehmen. Lehnen sich Journalisten bei der Aufklärung von Korruption zu weit aus dem Fenster, müssen sie mit Verhaftung rechnen. Dennoch greift die Zentralregierung Hinweise und Eingaben der Bevölkerung immer dann auf, wenn es der Führungsspitze opportun erscheint.

Die Spielarten der Korruption haben sich in den vergangenen Jahren auch verfeinert. Längst werden Bestechungsgelder nicht nur in China, sondern auch im Ausland gezahlt, sei es für den Kauf von Luxuswohnungen, für die Finanzierung von Familienangehörigen, für Luxusreisen und Glücksspiel.

Korruptionsbekämpfung

Seit Staatspräsident Hu Jintao Mitte 2006 zu einer Intensivierung des Kampfes gegen Korruption aufrief, wurden auch Verfahren gegen hochrangige Beamte auf Provinz- oder Ministerialebene eingeleitet.

Einige spektakuläre Fälle möchte ich Ihnen aufzeigen:

Chen Liangyu
Seit 2002 Parteisekretär in Shanghai und Mitglied des Politbüros
Beteiligung an einem der größten Finanzskandale, Missbrauch von Geldern des Shanghai Rentenfonds
Haftstrafe: 18 Jahre, Ausschluss aus der KPCh 2007

Liu Zhihua
Seit 1999 Vizebürgermeister Beijings, zuständig für Olympiabauten,
Grundstücksvergabe und Verkehrsbetriebe
Annahme von Bestechungsgeldern in Millionenhöhe
Amtsenthebung und Parteiausschluss 2006

Zheng Xiaoyu
bis 2005 Direktor der Staatlichen Verwaltung für Arznei- und Lebensmittel
Annahme von Bestechungsgeldern der Pharmaindustrie in Millionenhöhe
Hinrichtung im Juli 2007

Wang Shouye
Vizeadmiral, seit 2001 stv. Kdr. der VBA Marine
Veruntreuung öffentlicher Gelder in Millionenhöhe
Dezember 2006 lebenslange Haftstrafe

Du Shicheng
seit 2004 stv. Parteisekretär von Shandong
Machtmissbrauch, Annahme von Bestechungsgeldern in Millionenhöhe
2006 Amtsenthebung, April 2007 Parteiausschluss

Einem Bericht an den Nationalen Volkskongress (März 2008) ist zu entnehmen, dass in den vergangenen 5 Jahren Strafverfahren gegen 35 hochrangige Staatsbedienstete auf Provinzund Ministerialebene, 930 auf Kommunal- und fast 14.000 auf Städte- oder Bezirksebene wegen Unterschlagung, Bestechung oder dem Missbrauch öffentlicher Gelder eingeleitet wurden.

Die Disziplinkontrollkommission spricht für das Jahr 2008 von 4.900 Staatsbediensteten oberhalb der Bezirksebene, die landesweit diszipliniert wurden; davon sollen 801 bestraft worden sein. Dies ist allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein! 5) Wie sieht es nun mit Korruptionspraktiken ausländischer Konzerne in China aus?

Mit großem Interesse habe ich eine aktuelle Analyse (Januar 2009) des indischen Sicherheitsexperten Dr. Sheo Nandan Pandey mit dem Titel: China – Combating Corruption gelesen. Hierin stellt er fest, dass die Siemens Abteilungen Transport Systems (TS), Power Transmission and Distribution (PTD) und Medical Solutions (MED) Bestechungsgelder an chinesische Staatsbedienstete und Ärzte im Zeitraum 2002 bis 2007 in Höhe von 70,4 Millionen US- Dollar bezahlt haben sollen.

Diese Zahlungen sollen von einem ehemaligen Mitarbeiter von Siemens PTD über eine
Consulting Firma in Dubai und dann über verschiedene Persönlichkeiten, die wiederum mit
einem chinesischen Consultant in den USA vernetzt waren, der über hochrangige Kontakte verfügt, unterstützt worden sein. 6)

Fazit und Handlungsempfehlungen
Lassen Sie mich zusammenfassen und Ihnen noch 10 Handlungsempfehlungen mit auf den Weg geben.

Die chinesische Führung hat das Problem der epidemischen Korruption zwar erkannt, bislang aber einen Kampf gegen Windmühlen geführt. Ohne tief greifende politische Reformen, einen Systemwandel, der allerdings auch den alleinigen Machtanspruch der Partei in Frage stellen könnte, wird sie die Korruption nur an der Oberfläche eindämmen, nicht aber weitgehend beseitigen können. 7)

Bei der Entwicklung unabhängiger Justiz- und Kontrollorgane, der Verbesserung des Rechtssystems, einer verbesserten Ausbildung von Staatsbediensteten, können wir und sollten wir China unterstützen. Angst vor einem erstarkenden China sollten wir nicht haben, eher vor einem schwachen!

Die folgenden Hinweise können Ihnen bei Geschäftskontakten in China nützlich sein:

1. Aneignung interkultureller Kompetenz als wichtiges Element für den persönlichen Erfolg und den des Unternehmens.

2. Überprüfung Ihres Geschäftspartners und dessen Firma vor intensiverem Geschäftsbeginn durch kompetente Wirtschaftsprüfungsgesellschaften etc.

3. Aufbau und Pflege von GUANXI

4. Genaue Beobachtung des eigenen Umfelds, da Korruption in China weit verbreitet ist.

5. Beachtung der Landesgesetze.

6. Lassen Sie sich auf Korruption grundsätzlich NICHT ein.

7. Verzichten Sie auf unseriöse Geschäftspraktiken.

8. Suchen Sie kompetente Beratung bei Korruptionsverdacht.

9. Auch in China gibt es redliche Geschäftsleute, die Interesse an verlässlichen und nicht korrumpierbaren Partnern haben.

10. In Zeiten der Rezession und der internationalen Finanzkrise sind Sie in China nicht nur der Korruption, sondern auch verstärkter Wettbewerbs- und Wirtschaftsspionage ausgesetzt. Schützen Sie deshalb Ihr Unternehmen und Ihre Mitarbeiter!

Lassen Sie uns trotz epidemischer Korruption in der VR China positiv in die Zukunft schauen, denn ein chinesisches Sprichwort sagt: Auch eine Reise von 10.000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.

Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

***



Dr. Peter Roell ist Präsident des Instituts für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW), Berlin.

Anmerkungen:
1) Das chinesische Wort Kultur (Wenhua) setzt sich aus dem Schriftzeichen Wen =
Literatur und Hua = transformieren, verändern, beeinflussen zusammen. Im Deutschen
leitet sich das Wort Kultur vom lateinischen Wort cultus ab und bedeutet „sich gut um
den Körper kümmern“, primär aber „sich gut um den Geist kümmern“. Später
Gebrauch im Kontext mit cultura (Landwirtschaft); heutzutage denkt man beim Wort
Kultur eher an Kunst. Kultur umfasst die Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens,
beruhend auf Wissen und Überzeugungen, auf Gewohnheiten und moralischen
Werten.

2) Dr. Manuel Vermeer: China.de – Erfolgreich verhandeln mit chinesischen
Geschäftspartnern; Gabler Verlag Januar 2002, ISBN 3-409-11714-8

3) Zu beklagen ist in China, aber auch im Rahmen der internationalen Finanzkrise, der
Verlust konfuzianischer Werte wie Li = Selbstbeherrschung und Rücksichtnahme, wie
Ren = Mitmenschlichkeit. Der Einzelne muss sich seiner gesellschaftlichen Stellung,
seiner Rechte und Pflichten bewusst sein und sich gegenüber anderen Menschen
entsprechend verhalten.

4) Die Zentralkommission für Disziplinarinspektionen kündigte deshalb im Januar 2009
erneut verschärfte Maßnahmen gegen Kader an, die Bestechungsgelder annehmen.

ISPSW Institut für Strategie- Politik- Sicherheits- und Wirtschaftsberatung
Berlin www.ispsw.de